In der heutigen Ausgabe wollen wir uns mit einer Problematik beschäftigen, die in der Praxis nicht die Aufmerksamkeit erhält, die sie verdient: Der Umfang des Versicherungsschutzes bei ehrenamtlich tätigen Personen. Dieses Thema war Gegenstand eines aktuellen Falles vor dem Bundessozialgericht, das darüber zu entscheiden hatte, ob der Arbeitsunfall eines ehrenamtlichen Vorsitzenden eines Ortsvereins des Deutschen Roten Kreuzes e.V. (DRK) in den Anwendungsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung fällt.
Die Rechtsgrundlagen
Es geht im Kern um die Frage, welche Tätigkeiten eines Ehrenamtlichen vom gesetzlichen Versicherungsschutz abgedeckt sind. Die Rechtsgrundlage ist § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII, wonach kraft Gesetzes versichert sind: „Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen.“ Hilfeleistungsunternehmen sind Unternehmen, die der Abwendung drohender Gefahren für den Einzelnen oder der Allgemeinheit oder der Beseitigung von Unfallfolgen, der Bergung von Toten und Verletzten, dem Transport von Verletzten in ärztliche Behandlung u. ä. dienen (Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. Oktober 1980 – 8 a RU 74/8). Der DRK gehört zweifelsfrei zu diesen Unternehmen. Die Frage ist, welche Tätigkeiten von der Norm erfasst sind: nur die Kerntätigkeiten im direkten Hilfseinsatz oder auch solche Tätigkeiten, die den Zwecken oder noch weiter gefasst den Angelegenheiten des Hilfeleistungsunternehmens dienen, wie die Pflege von Netzwerken mit anderen vergleichbaren Organisationen.
Der Fall
Der Kläger ist ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender des DRK-Ortsvereins T e.V., der seit 25 Jahren eine Freundschaft mit dem DRK-Ortsverein B e.V. pflegt. Die Mitglieder der Ortsvereine besuchen sich regelmäßig wechselseitig zu ihren Generalversammlungen und führen gemeinsame Veranstaltungen durch. Auf Einladung fuhren der Kläger und fünf weitere Mitglieder seines Ortsvereins an einem Abend im Mannschaftsbus zu der Generalversammlung des befreundeten Ortsvereins. Auf der Autobahn kollidierte der Mannschaftsbus mit einem anderen Fahrzeug. Ein Vereinsmitglied wurde getötet, die anderen Insassen, auch der Kläger, wurden zum Teil schwer verletzt.
Die Position der Versicherung
Die beklagte Versicherung lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls mit der Begründung ab, dass die Teilnahme an der Generalversammlung des befreundeten Ortsvereins nicht den wesentlichen Zwecken des DRK gedient habe. Die dagegen gerichtete Klage hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts vom 20. November 2018; Urteil des Landessozialgerichts vom 30. April 2020). Zur Begründung haben die Vorinstanzen im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe in seiner Funktion als Vorsitzender ein Grußwort halten und gegebenenfalls Absprachen über weitere gemeinsame Termine treffen wollen und so mit der geplanten Teilnahme sowohl repräsentative als auch organisatorische Belange des DRK verfolgt. Zudem sei er der satzungsgemäßen Verpflichtung nach enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit allen Verbänden des DRK und deren Mitgliedern nachgekommen.
Die Entscheidung des Bundessozialgerichts
Das Bundessozialgericht hat die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt (Urteil des Bundessozialgerichts vom 8. Dezember 2022, B 2 U 14/20 R): Der Versicherungsschutz für Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind, umfasse nicht nur Hilfetätigkeiten bei Unglücksfällen, sondern darüber hinaus auch sonstige Tätigkeiten, die den Zwecken des Hilfsdienstes wesentlich dienen. Im zu beurteilenden Fall habe zwischen der allgemeinen Tätigkeit des DRK-Ortsvereins und der Fahrt des Klägers zu der Generalversammlung des befreundeten Ortsvereins ein innerer Zusammenhang bestanden, der es rechtfertige, die Fahrt der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Zwar sei diese nicht im Kernbereich der Aufgaben des Ortsvereins erfolgt, dem der Kläger angehöre. Der gesetzliche Unfallversicherungsschutz sei aber hierauf nicht begrenzt. § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII schütze umfassend unentgeltlich erbrachte, insbesondere ehrenamtliche Tätigkeiten, die dem öffentlichen Interesse und Gemeinwohl dienen. Ausreichend könne deshalb bereits der bloße gegenseitige Austausch der Hilfeunternehmen untereinander sein, wenn diese ihre Zwecke wesentlich fördern. Hier habe der Kläger ein Grußwort auf der Generalversammlung des befreundeten Ortsvereins halten und Termine mit dessen Vorstand abstimmen wollen; ein allein oder wesentlich geselliger Charakter der Generalversammlung habe daher nicht im Vordergrund gestanden.
Die Entscheidung des Bundessozialgerichts stärkt die Rechte der ehrenamtlich tätigen Personen und ist daher durchweg positiv zu bewerten. Das BSG nimmt eine begrüßenswert großzügige Auslegung der gesetzlichen Grundlagen vor und spricht damit denjenigen Personen, die ihre Zeit und ihr Engagement ohne Gegenleistung für die Allgemeinheit einsetzen, zumindest einen weitgehenden gesetzlichen Versicherungsschutz zu.