Umsatzsteuerliche Organschaft – Folge 3

Ein kurzer Rückblick

Der EuGH hatte sich am 1. Dezember 2022 in zwei Entscheidungen unter anderem zu der Frage geäußert, ob ein Mitglied einer Mehrwertsteuergruppe (das europäische Pendant der umsatzsteuerlichen Organschaft) unter bestimmten Voraussetzungen als „selbständig“ angesehen werden könnte. Das hatte der EuGH jedenfalls nicht eindeutig verneint. Vielmehr ging der EuGH davon aus, dass jedes Gruppenmitglied zu prüfen habe, ob es selbständig sein könnte, wofür eine Tätigkeit im eigenen Namen, auf eigene Rechnung, auf eigenes wirtschaftliches Risiko und in eigener Verantwortung sprechen könnte. Sofern ein Mitglied der Mehrwertsteuergruppe nach dieser zusätzlichen Prüfung selbständig handelt, können die von diesem Mitglied erbrachten Leistungen umsatzsteuerbar und ggfs. auch umsatzsteuerpflichtig sein. Dies gilt dann auch für Leistungen an andere Mitglieder der Mehrwertsteuergruppe, die nach deutschem Verständnis derzeit nicht umsatzsteuerbare Innenleistungen sind. Die Entscheidungen des EuGH haben insbesondere bei nicht vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmern (vor allem im Non-Profit-Sektor) erhebliche Sorgen ausgelöst.

Dem BFH war die Antwort des EuGH zu vage, weshalb er mit erneuter Vorlage vom 26. Januar 2023 noch einmal konkret die Frage stellte, ob in einer Mehrwertsteuergruppe die Innenleistungen dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer (nicht) unterliegen und ob dies ebenfalls dann gilt, wenn der jeweilige Leistungsempfänger nur teilweise oder überhaupt nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und daher die Gefahr von Steuerverlusten besteht.

Der Schlussantrag des Generalanwalts

Der Ausgang dieses Verfahrens wird mit Bangen erwartet. Nun hat der Generalanwalt in seinem Schlussantrag vom 16. Mai 2024 (C-184/23) diese Frage eindeutig verneint und begründet sein Ergebnis mit klassischen juristischen Auslegungsmethoden. Steuerbar ist danach nur ein Umsatz, den ein Steuerpflichtiger als solcher erbringt. Aus der Regelung zur Mehrwertsteuergruppe folgt aber, dass die untergeordneten Einheiten gerade nicht mehr als Steuerpflichtige handeln (Steuerpflichtiger kann – je nach Mitgliedstaat – nur die Gruppe selbst oder der Organträger sein). Die Mitglieder der Gruppe können daher keine steuerbaren Leistungen erbringen. Auch der Sinn und Zweck der Regelung widerspräche der Selbständigkeit von einzelnen Mitgliedern: Die Gruppe soll dazu dienen, Organisationsentscheidungen unabhängig von Mehrwertsteuerfolgen zu treffen. Dies funktioniert im Fall von Vorsteuerabzugsbeschränkungen in der Mehrwertsteuergruppe aber nur, wenn die Innenumsätze nicht steuerbar sind. Schließlich sieht der Generalanwalt auch kein Risiko von Steuerverlusten, da die Folgen auch eintreten würden, wenn der Organträger die Aufgaben selbst erledigt.

Ausblick

Der Schlussantrag des Generalanwalts könnte den EuGH in eine wünschenswerte Richtung lenken. Theoretisch denkbar, aber in der Praxis selten, bleibt allerdings die Möglichkeit, dass der EuGH von dem Schlussantrag des Generalanwalts abweicht und die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie anders auslegt. Nach Entscheidung des EuGH geht das Verfahren wieder an den BFH zurück, der es in seinem Urteil umsetzen muss. Zu hoffen ist, dass das Verfahren glimpflich endet und die Nichtsteuerbarkeit der Innenleistungen erhalten bleibt. Als letzten Schlussakt müsste das Urteil entsprechend in den Umsatzsteuer-Anwendungserlass Einzug halten. Dann könnten sich die gemeinnützigen Organisationen wieder ihren zahlreichen anderen Baustellen zuwenden.

Anja Knoop - Rechtsanwältin, Steuerberaterin & Partnerin

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