Sachverhalt
Im Jahr 2021 errichteten die Eheleute A und B eine rechtsfähige Familienstiftung des privaten Rechts. Zweck der Stiftung war die Förderung und finanzielle Versorgung der Stifter sowie deren leiblicher und gesetzlicher Abkömmlinge. Das Grundstockvermögen betrug 80.000 Euro, wobei jeder Stifter 40.000 Euro einbrachte.
Die Stiftungssatzung sah vor, dass im Falle der Auflösung der Stiftung das Vermögen zunächst an die lebenden Stifter zurückfällt und nach deren Ableben an deren gesetzliche Erben. Sollten keine Nachkommen mehr vorhanden sein, sollte der Stiftungsvorstand einstimmig die Anfallsberechtigten bestimmen.
Das Finanzamt setzte Schenkungsteuer fest und wandte die Steuerklasse III an, da es berücksichtigte, da im Falle der Auflösung der Stiftung auch familienfremde Dritte als Anfallsberechtigte in Betracht kämen. Entsprechend setzte das Finanzamt jeweils nur einen Freibetrag von 20.000 Euro an und berechnete die Schenkungsteuer mit einem Steuersatz von 30 Prozent, was zu einer Steuer von jeweils 6.000 Euro führte.
Die Stiftung legte Einspruch ein und argumentierte, dass für die Steuerklassenbestimmung gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG allein das Verwandtschaftsverhältnis der Stifter zu den Bezugsberechtigten maßgeblich sei. Da die Bezugsberechtigten ausschließlich Abkömmlinge der Stifter seien, die der Steuerklasse I unterfielen, sei ein Freibetrag von 100.000 Euro anzuwenden, wodurch keine Schenkungsteuer anfalle. Das Finanzamt wies den Einspruch zurück.
Entscheidung des Finanzgerichts
Das Finanzgericht gab der Klage der Stiftung statt und hob die Schenkungsteuerbescheide sowie die Einspruchsentscheidungen auf. Es stellte fest, dass der steuerpflichtige Erwerb unter Anwendung eines Freibetrags von jeweils 100.000 Euro zu berechnen und die Schenkungsteuer auf 0 Euro herabzusetzen sei.
In seiner Begründung führte das Gericht aus, dass gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG bei einer Familienstiftung für die schenkungsteuerliche Behandlung der erstmaligen Vermögensausstattung das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zum Schenker maßgeblich ist. Dabei seien entgegen der Auffassung des Finanzamts nur die potenziellen Bezugsberechtigten und nicht auch die potenziellen Anfallsberechtigten im Falle der Auflösung der Stiftung zu berücksichtigen.
Der Begriff des „Berechtigten“ im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG umfasse alle Personen, die nach der Stiftungssatzung Vermögensvorteile aus der Stiftung erlangen können, nicht jedoch die Anfallsberechtigten.
Eine Unterscheidung zwischen sofort und später Berechtigten sei der Norm nicht zu entnehmen. Entscheidend sei, wer nach der Stiftungsurkunde als potenziell Begünstigter festgelegt ist. Das Gericht argumentierte, dass eine systematische Auslegung des Erbschaftsteuergesetzes dafür spreche, zwischen der Steuerklassenbestimmung für Bezugsberechtigte (§ 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG) und der Regelung für Anfallsberechtigte (§ 15 Abs. 2 Satz 2 ErbStG i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG) klar zu trennen.
Der Vermögensanfall bei Auflösung der Stiftung stelle einen eigenständigen Erwerbsvorgang dar, der erst bei Eintritt des Auflösungsfalles relevant werde. Solange die Stiftung bestehe, werde der Anfallsberechtigte nicht begünstigt. Auch eine historische Auslegung der Vorschriften unterstütze diese Auffassung. Die Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung des § 15 Abs. 2 ErbStG zeigten die Intention des Gesetzgebers, bei der Erstausstattung einer Familienstiftung allein auf den Kreis der Bezugsberechtigten abzustellen.
Die Berücksichtigung potenzieller Anfallsberechtigter, die möglicherweise nicht mit dem Stifter verwandt seien, würde dem Zweck der Vorschrift, die steuerliche Belastung bei der Errichtung von Familienstiftungen im Interesse der Familie zu mildern, zuwiderlaufen.
Schließlich spreche auch die teleologische Auslegung gegen die Berücksichtigung der Anfallsberechtigten bei der Steuerklassenbestimmung für die Erstausstattung. Ziel der Regelung sei es, die finanzielle Versorgung nachfolgender Generationen zu erleichtern und höhere Freibeträge zu ermöglichen, wenn die Begünstigung auch weiter entfernte Abkömmlinge umfasse. Dies würde unterlaufen, wenn allein aufgrund der Möglichkeit, dass im Falle der Auflösung der Stiftung familienfremde Dritte Anfallsberechtigte werden könnten, stets die ungünstigste Steuerklasse III und der geringste Freibetrag angewendet würden.
Das Finanzgericht ließ die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zu. Gegen dieses Urteil ist Revision zum Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen II R 33/24 eingelegt worden.
Bedeutung für die Praxis
Das Urteil des Finanzgerichts beschäftigt sich erstmals mit einer dankenswerten Tiefe und Klarheit mit dem Unterschied zwischen Bezugsberechtigung und Anfallsberechtigung. Der Fall veranschaulicht die erhebliche steuerliche Relevanz der Unterscheidung. Durch das Revisionsverfahren werden potentielle Stifter allerdings noch etwas auf die Folter gespannt, ob die Auffassung der Finanzrichter schließlich höchstrichterlich bestätigt wird. Bis zur endgültigen Entscheidung empfiehlt sich daher eine steuerliche Vorabstimmung mit dem Finanzamt.