Die aktuelle Ausgabe unseres Spotlights macht uns besondere Freude, denn wir können heute von einem bahnbrechenden Urteil des Finanzgerichts Hamburg berichten, das wir selbst begleitet haben. Es geht um nichts weniger als die Abkehr von einem Dogma des Bundesfinanzministeriums, das gemeinnützigen Organisationen in den letzten zwei Jahren viel Arbeit, Verdruss und Kosten beschert hatte: das sogenannte „Doppelte Satzungserfordernis“.
Kurz zur Orientierung: Auf Grund einer Gesetzesänderung vom Dezember 2020 besteht nunmehr die Möglichkeit, Serviceleistungen einer Körperschaft an andere steuerbegünstigte Einrichtungen, die bislang dem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zuzuordnen waren, als steuerbefreite Zweckbetriebsleistungen zu behandeln. Bis zu der Einführung von § 57 Abs. 3 AO n.F. scheiterte die Steuerbegünstigung von Verwaltungs- und anderen Dienstleistungen für gemeinnützige Einrichtungen daran, dass hiermit nicht „selbst und unmittelbar“ steuerbegünstigte Zwecke erfüllt wurden, sondern nur mittelbar durch die Inanspruchnahme dieser Leistungen durch steuerbegünstigte Organisationen. Wenn sich die Tätigkeit der „Service-Gesellschaft“ auf die Erbringung dieser Leistungen beschränkte, konnte die Service-Gesellschaft selbst insgesamt nicht gemeinnützig sein. Diese Situation hat der Gesetzgeber mit dem Ziel geändert, steuerbegünstigte Kooperationen zu vereinfachen. Nach neuer Rechtslage soll es daher in einer Gesamtschau aller Tätigkeiten ausreichen, wenn insgesamt ein gemeinnütziges „Produkt“ herauskommt. Nach § 57 Abs. 3 AO n.F. verfolgt also eine Körperschaft ihre steuerbegünstigten Zwecke auch dann unmittelbar im Sinne des Abs. 1 S. 1, wenn sie satzungsgemäß durch planmäßiges Zusammenwirken mit mindestens einer weiteren Körperschaft, die im Übrigen die Voraussetzungen der §§ 51 bis 68 AO erfüllt, einen steuerbegünstigten Zweck verwirklicht. Sinn und Zweck der Neuregelung besteht unter anderem darin, zu verhindern, dass Leistungen nur deshalb der Ertragsbesteuerung unterliegen, weil sie auf eine Tochtergesellschaft delegiert werden, ohne dass sich die innerorganisatorischen Prozesse verändern. Es können demnach nunmehr reine Servicegesellschaften insoweit selbst gemeinnützig agieren, als sie ihre Dienstleistungen an andere gemeinnützige Körperschaften als Vorleistungen für deren gemeinnützige Tätigkeiten erbringen.
Mit der Neufassung des § 57 Abs. 3 AO konnte sich die Finanzverwaltung nicht so recht arrangieren und erließ in Folge ein Anwendungsschreiben, welches die gesetzgeberische Intention einer Vereinfachung weitgehend zunichte macht. Damit sich eine Service-Gesellschaft auf die Steuerbegünstigung nach § 57 Abs. 3 AO berufen kann, ist nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht nur eine entsprechende Satzungsgrundlage bei der Service-Gesellschaft erforderlich (was plausibel erscheint, wenn sich die Service-Gesellschaft für ihre Steuerbegünstigung hierauf berufen will), sondern auch bei derjenigen Gesellschaft, die diese Leistungen in Anspruch nehmen möchte. So heißt es in dem BMF-Schreiben vom 6. August 2021 auf Seite 5 zu Ziff. 8: „Die Körperschaften, mit denen kooperiert wird, und die Art und Weise der Kooperation müssen in den Satzungen der Beteiligten bezeichnet werden“. Nach Interpretation des BMF heißt das „aller“ Beteiligten. An dem Beispiel eines gemeinnützigen Konzerns mit 150 Tochtergesellschaften wird das Problem deutlich: Damit die eine kleine Servicegesellschaft des Konzerns gemeinnützig werden kann, müssen 150 andere Gesellschaften ihre Satzungen ändern, um eine entsprechende gegenseitige Satzungsgrundlage zu schaffen. Von praktischen Erwägungen abgesehen, hat das BMF-Schreiben noch weitere grundlegende Schwächen, die das Finanzgericht Hamburg nun (mit kleinen Hilfestellungen unsererseits) aufgedeckt und ablehnend beurteilt hat.
Der Fall:
Die Klägerin, eine gemeinnützige UG, wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 18. Februar 2022 mit dem Zweck gegründet, Dienstleistungen im Bereich der Finanzbuchhaltung und des Rechnungswesens gegenüber einer gemeinnützigen Stiftung zu erbringen. Die Stiftung selbst, welche an der Klägerin nicht beteiligt ist, verfolgt ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigte Zwecke im Sinne der AO. Nach § 2 des Gesellschaftsvertrages verfolgt die Klägerin gemeinnützige und mildtätige Zwecke im Sinne der AO, wobei der Satzungszweck verwirklicht wird durch planmäßiges Zusammenwirken mit der Stiftung. Letzteres wurde in dem Gesellschaftsvertrag der Klägerin ausdrücklich aufgenommen. Nachdem das Finanzamt zunächst einen Feststellungsbescheid nach § 60a AO erlassen hatte, bat die Behörde im weiteren Verlauf um den Nachweis, dass auch die Stiftung ihre Satzung entsprechend geändert habe. Die Klägerin teilte daraufhin mit, dass die Stiftung ihre Satzung nicht ändern werde, da sie ja bereits gemeinnützig sei. Im Übrigen könne die Klägerin auf die Satzungsgestaltung einer fremden Stiftung keinen Einfluss nehmen. Daraufhin hob das Finanzamt den Feststellungsbescheid wieder auf. Hiergegen richtete sich die Klage.
Die Entscheidung des Finanzgerichts:
Das Finanzgericht Hamburg gab der Klage mit Urteil vom 27. September 2023 statt und ließ die Revision zu.
Die Begründung:
Es steht der Anwendung des § 57 Abs. 3 AO im Streitfall nicht entgegen, dass die Kooperation mit der Klägerin nicht in die Satzung der Stiftung aufgenommen worden ist. Das erkennende Gericht schließt sich der überwiegenden Ansicht der Literatur an, wonach ein „doppeltes Satzungserfordernis“ nicht erforderlich ist. Zu dieser Ansicht gelangt das Gericht durch Auslegung des § 57 Abs. 3 AO; an die entgegenstehende Ansicht des AEAO ist das Gericht nicht gebunden. Das vom Beklagten geforderte „doppelte Satzungserfordernis“ ist weder aus dem Wortlaut der Norm noch im Wege einer darüber hinausgehenden Auslegung herzuleiten.
Es gehört zum Wesen von Gesetzen als abstrakten Texten, dass diese gedeutet bzw. – juristisch gesprochen – „ausgelegt“ werden müssen, um auf einen konkreten Fall anwendbar zu sein. Dieser Prozess der Auslegung ist jedoch an klare logische Regeln gebunden. Insbesondere wäre es unzulässig, einem Gesetz, das nach Wortlaut und Sinn eindeutig ist, durch eine etwaige Auslegung einen entgegengesetzten Sinn zu verleihen, den normativen Gehalt der auszulegenden Norm grundlegend neu zu bestimmen oder das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt zu verfehlen. Nach Einschätzung des Finanzgerichts Hamburg ist genau dies jedoch die Folge, wenn die Finanzverwaltung § 57 Abs. 3 AO im Sinne eines doppelten Satzungserfordernisses anwendet. Bereits nach dem klaren Wortlaut des § 57 Abs. 3 Satz 1 AO ist ein „doppeltes Satzungserfordernis“ keine Voraussetzung für die Annahme einer unmittelbaren Zweckverwirklichung. Nach dem Gesetzestext ist es lediglich erforderlich, aber auch ausreichend, wenn eine Körperschaft (die leistungserbringende Körperschaft – vorliegend die Klägerin) „satzungsgemäß“ mit „mindestens einer weiteren Körperschaft, die im Übrigen die Voraussetzungen der §§ 51 bis 68 AO erfüllt“ (die leistungsempfangende Körperschaft – vorliegend die Stiftung), planmäßig zusammenwirkt. Die Voraussetzung „satzungsgemäß“ bezieht sich schon nach ihrer Stellung im Satz allein auf die Satzung der leistungserbringenden Körperschaft. Bestätigt wird dies dadurch, dass der Wortlaut darauf abstellt, dass „sie“ (d.h. die leistungserbringende Körperschaft) satzungsgemäß durch planmäßiges Zusammenwirken mit der leistungsempfangenden Körperschaft einen steuerbegünstigten Zweck verwirklicht; auf die Satzung der leistungsempfangenden Körperschaft kommt es mithin auch nach dieser Formulierung nicht an. Insoweit verlangt der Wortlaut lediglich, dass diese die Voraussetzungen der §§ 51 bis 68 AO erfüllt, ohne auf die weitere Ausgestaltung von deren Satzung abzustellen. Nach Auffassung des Finanzgerichts Hamburg ergeben sich weder aus dem Sinn und Zweck des § 57 Abs. 3 AO noch aus seiner Gesetzgebungsgeschichte irgendwelche Gründe, die ein anderes Ergebnis rechtfertigen können. Der § 57 Abs. 3 AO war dezidiert als Erleichterungs- und Ermöglichungsregelung geschaffen worden und dieses Anliegen wird durch das doppelte Satzungserfordernis konterkariert. Auch beihilferechtliche Erwägungen sprechen nach Auffassung des Gerichts nicht für ein doppeltes Satzungserfordernis, da durch die Einführung des § 57 Abs. 3 AO keine „neue Beihilfe“ im Sinne von Art. 108 Abs. 3 AEUV geschaffen wurde.
Die Auswirkungen des Urteils:
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die beklagte Finanzverwaltung hat inzwischen Revision eingelegt und das Verfahren ist beim Bundesfinanzhof abhängig. Schon jetzt zeigt sich aber in der Beratungspraxis, dass die Finanzverwaltung das doppelte Satzungserfordernis nicht mehr aktiv anwendet und entsprechende Verfahren aussetzt. Gemeinnützige Körperschaften, denen das doppelte Satzungserfordernis ein unüberwindbares Hindernis für die angestrebte Umstrukturierung bereitet, empfehlen wir, sich auf dieses Urteil zu berufen und ggfs. selbst ein Finanzgerichtsverfahren einzuleiten. Da das Urteil in seinen Grundsätzen steht, ist mit kurzen Bearbeitungszeiten und einer vorhersehbaren Entscheidung zu rechnen.
Verfasser: Anja Knoop und Dr. Elias Bornemann